Montag, 29. Oktober 2012

Zirkumzision - ein Schnitt teilt die Gesellschaft

The articles of the German Constitution (Grund...
The articles of the German Constitution (Grundgesetz) (Photo credit: Wikipedia)

Die Beschnei­dung der Grund­rechte oder: Feig­heit vor dem Grund­gesetz

Das Dümmste was in der Beschneidungsdebatte passieren konnte, ist passiert. So hektisch wie selten wurde ein Gesetz übers Knie gebrochen, um eine vermeintliche Rechtsunsicherheit vermeintlich zu beenden: Dürfen Jungen beschnitten werden, bevor sie in der Lage sind, selber darüber zu entscheiden? Genügt der Wunsch der Eltern, diesen Eingriff zu legalisieren?

Es wäre für die gesellschaftliche Diskussion, den demokratischen Prozess, vor allem aber als Bekenntnis zum Grundgesetz richtig gewesen, zunächst ein höchstrichterliches Urteil darüber einzuholen, ob die Beschneidung unmündiger, minderjähriger Jungen vom Grundgesetz gedeckt ist oder nicht. Ob das grundgesetzlich garantierte Erziehungsrecht der Eltern, die grundgesetzlich garantierte freie Ausübung der Religion höher zu werten sind als die ebenso grundgesetzlich garantierte körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Denn dies ist der eigentliche Konflikt: Freier Wille oder Glaube.


legislator praecox

Mit ihrer vorschnellen Gesetzesinitiative bestätigen Antragsteller wie Bundesregierung, dass die körperliche Unversehrtheit ebenso wie die freie Willensentscheidung “eigentlich” die höheren Rechtsgüter sind. Die vorgeschobene “Rechtsunsicherheit” existiert also tatsächlich nicht. Was also treibt die Befürworter einer Beschneidung von Minderjährigen an?

Unbestreitbar bedeutet ein Beschneidungsverbot von Jungen einen erheblichen Umbruch in der bisher geübten religiösen Praxis von Juden und Muslimen. Ja, es ist eine Zumutung, Jahrtausende alte Bräuche zu überdenken und zu aktualisieren. Und ja, es ist zumutbar. “Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, müssen wir zulassen, das sich alles ändert.” Der Wandel ist das einzig Beständige und er kennt keine Ausnahme. Wandel ist Entwicklung, nicht Verlust.

Unzumutbar ist hingegen, Beschneidungsgegner mit dem Vorwurf des Antisemitismus zu überziehen, ihnen Rassismus, Versuche der Ausgrenzung oder was weiß ich zu unterstellen. Natürlich gibt es Trittbrettfahrer aus den üblichen verdächtigen Kreisen. Das war’s aber auch schon. Wer seine vermeintlichen Argumente aus dieser Ecke des Stammtisches holt, trägt nichts zur Problemlösung bei. Wer so “argumentiert”, wird selber zum Problem.


Der Konflikt lässt sich nur mit dem Grundgesetz lösen. Oder gar nicht.

Das Landgericht Köln hat in seinem Urteil vom 07.05.2012 plausibel und nachvollziehbar hergeleitet, warum die Beschneidung von Jungen nicht legal ist. In der darauf folgenden Debatte wurden von den Befürwortern einer Beschneidung von Jungen nur zwei Positionen vertreten: Entweder wurden Elternwille und Religionsfreiheit einfach höher bewertet als die Rechte auf körperliche Unversehrheit und freie Entscheidung. Oder es wurde nur wertend mit den Folgen eines Beschneidungsverbotes argumentiert*. Ich habe keine Argumentation gefunden, die die Begründung und Argumentationskette des Landgericht Köln widerlegt.

Der ordentliche rechtsstaatliche Weg wäre bei dieser wichtigen Fragestellung, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen, welche Rechte wie priorisiert werden müssen. Und für den Fall, dass unser oberstes Gericht in einem Beschneidungsverbot von Jungen eine unzumutbare Beeinträchtigung von Erziehungsrecht und freier Religionsausübung sehen würde, würde es dem Gesetzgeber einen entsprechenden Auftrag erteilen. Das ist in unserem Staat inzwischen ja schon häufig geübte Praxis.


Scheinlösung und Abkürzung zum Verfassungsbruch

Der vorgeschlagene Gesetzentwurf geht auf den im Grundgesetz angelegten Wertekonflikt gar nicht ein. Über eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches wird lediglich die Personensorge ausdrücklich um die Ermächtigung zur Beschneidung männlicher Kinder aufgeweitet. Kann ein nachgeordnetes Gesetz tatsächlich die übergeordnete Rechtsnorm ändern? Zweitens ist auch in diesem m. E. untauglichen Gesetzentwurf wieder der Vorbehalt des Kindeswohls enthalten. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Den Vorbehalt des Kindeswohls halte ich für absolut unverhandelbar. Aber genau das ist doch eine der entscheidenden Konfliktquellen: Was dient dem Kindeswohl mehr: Die Beschneidung als nicht umkehrbarer Ausweis einer Religionszugehörigkeit oder die Bewahrung der körperlichen Unversehrtheit und freien Entscheidung.

Und ein neuer Konflikt wird eingeführt: Einerseits werden die doch sehr schwammigen “Regeln der ärztlichen Kunst” zur Bedingung gemacht. Andererseits wird die Beschneidung bis zum sechsten Lebensmonat des Kindes auch Nicht-Ärzten gestattet. Das ist widersprüchlich und entspricht nicht der hiesigen Regelungspraxis, geschweige denn im medizinischen Bereich.


Nein zum Entwurf des Beschneidungsgesetzes

Der vorgelegte Gesetzentwurf löst keine Problem sondern schafft neue. Ganz unabhängig davon, wie man zur Beschneidung von Kinder steht: Dieser Konflikt kann nicht mit Gesetzen, er kann nur mit Verständigung und Veränderung gelöst werden. Meine Position werde ich Kürze an gleicher Stelle begründen.

Wichtig für die Diskussion:

Das Urteil des Landgerichts Köln vom 07.05.2012 im Wortlaut: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2012/151_Ns_169_11_Urteil_20120507.html

Die Kernsätze der Urteilsbegründung lauten:
  • Im elterlichen Sorgerecht sind nur Erziehungsmaßnahmen gerechtfertigt, die dem Wohl des Kindes dienen.
  • Die Grundrechte der Eltern werden durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung begrenzt.
  • Staatsbürgerliche Rechte dürfen nicht durch die Ausübung der Religionsfreiheit begrenzt werden.
  • Die Beschneidung ist gegen die Interessen des Kindes, später einmal selber über seine Religionszugehörigkeit zu entscheiden.
  • Das Erziehungsrecht der Eltern wird nicht dadurch unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie abwarten müssen, wie sich ihr Sohn bei seiner späteren Mündigkeit für eine Religionszugehörigkeit entscheidet.

Link zum Entwurf des Beschneidungsgesetzes (Pdf).


* In der Diskussion werden gerne auch die medizinischen und psychischen Risiken und Konsequenzen der Beschneidung verharmlost und verniedlicht oder die Beschneidung als generell vorteilhaft verkauft. Immerhin diesen Fehler begeht der vorgelegte Gesetzentwurf nicht. Zur Auflösung des im Grundgesetz selbst wurzelnden Konfliktes wäre es auch irrelevant, selbst wenn die Behauptungen stimmen würden. Diskussionen hierzu erübrigen sich also. Die Fakten können in der Begründung des Gesetzentwurfes nachgelesen werden (dafür immerhin ist er gut ;-), Link s.o. Ergänzend hierzu auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages (Pdf).
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